Schwierige Zeiten in Tamil Nadu
Mit einem herzlichen Gruß melde ich mich aus Viralimalai,
Wenn wir die Internetseiten aufschlagen, werden wir von Nachrichten über den Virus Covid-19 überhäuft. Wir sehen Statistiken über Verläufe, Erkrankungen, Heilungen und Todesfälle.
Die Meldungen über Neuerkrankungen überschlagen sich…auch in Indien.
Wie ich aus den deutschen Nachrichten entnehme, ist Indien, im Zusammenhang mit dem Corona Virus, immer wieder in den News.
Für viele Wochen haben wir hier in Tamil Nadu wie durch ein Fenster auf die Außenwelt geschaut, in der Hoffnung, Gott möge uns verschonen. Das hat sich seit circa 14 Tagen drastisch geändert. Es hat mit der Schließung der Schulen und Universitäten am 17. März begonnen. Die Prüfungen der Abiturienten wurden mit dem 23. März abgeschlossen. Am 19. März hat unsere deutsche Praktikantin Daphne die Aufforderung bekommen, Indien so schnell wie möglich zu verlassen. Sie ist diesem Aufruf gefolgt und stand seit dieser Zeit auf der Rückholliste, die von der Deutschen Botschaft in Delhi eingerichtet wurde. Inzwischen ist sie gut in Deutschland angekommen. Über diese Fahrt in Richtung Flughafen gleich mehr.
Am 22.3. wurde uns ein 24 Stunden Ausgehverbot auferlegt, das dann am 23.3. abends ab 18 Uhr für 3 Wochen verlängert wurde. Leider werden diese Verbote am Abend verkündet und um Mitternacht hatten wir uns daran zu halten. Es gab nicht viel Zeit, uns darauf vorzubereiten.
Wer Indien und die Inder kennt, würde sicher denken, in einem anderen Land zu sein. Normalerweise, muss ein Verkäufer immer drei Personen auf einmal bedienen. Ohne drängeln geht nichts in diesem Land. An den Schaltern, ob es die Bank, die Post oder die Bahn ist, hängen immer mindestens drei Personen in deinem Rücken. Jetzt steht man in einer Reihe mit dem nötigen Abstand.
Der Staat hat den Kindern in den Schulen Seife geschenkt, damit sie die Hände waschen. Die Straßen sind leer. Es gibt nur Öffnungszeiten für die Gemüseläden, die Apotheken, die kleinen Lebensmittelgeschäfte – nicht die Supermärkte – und die Milchgenossenschaften von morgens 9 Uhr bis 12.30Uhr. Es fahren keine Busse. Die Firmen haben überwiegend die Produktion eingestellt oder fahren nur mit einer Arbeitsschicht. Die Polizei wacht auf den Straßen und wenn sie drei Jungens auf einem Motorrad sieht zögert sie nicht, mit dem Knüppel drauf los zu schlagen oder sie müssen aufs Polizeirevier und kommen mit einer Verwarnung davon. Wenn die Mädels sich das erlauben, dürfen sie einige hinduistische Übungen machen… so wie Liegestützen. Die Grenzen zu den Distrikten sind geschlossen. So können wir nicht ohne weiteres nach Trichy fahren, da wir zum Puddukkottai Distrikt gehören. Damit habe ich auch gleich die Überleitung zu der Ausreise von Daphne. Sie und ihre beiden Mit-Praktikanten, die im Kinderdorf „Sunrise“ waren, bekamen die Aufforderung, sich auf den Weg nach Chennai zu machen und dort mit anderen Deutschen in einem Hotel auf eine Nachricht über den Abflug des Fluges nach Deutschland zu warten. Gut gesagt, aber wie nach Chennai kommen? Kein Zug, kein Bus, kein Taxi. Glücklicherweise haben die Schönstattpatres Nikolas und Stephan nach Viralimalai gebracht und wir haben dann mit einem Taxifahrer unseres Vertrauens eine Fahrt nach Chennai organisiert. Die Erlaubnis wurde von der höchsten indischen Behörde in unserem Distrikt erteilt. Mit einem Passierschein von der deutschen Botschaft und anderen Papieren ging es dann auf Wunsch von Fahrer Antony vor 10 Tagen um 19 Uhr los. Es mussten 7 Distrikte durchfahren werden… davor hatten die Fahrer Angst. Ausgestattet mit Masken und Handschuhen ging es los. An jeder Straßensperre reichte der Fahrer die Papiere aus dem Auto mit der Bemerkung, dass er Deutsche Touristen nach Chennai fahren muss. Alle Polizisten haben sich sofort 2 Meter vom Auto entfernt, die Papiere nicht in die Hand genommen und das Auto durchgelassen. Es war nicht nötig darauf hinzuweisen, dass die jungen Leute schon seit August 2019 in Indien sind…
Da im Weltvergleich in Indien nur – bislang – wenige infizierte Menschen leben, besteht doch eine große Angst, dass der Virus sich ausbreitet, wenn man an die Bevölkerungsdichte Indiens denkt. Es leben so viele Menschen auf der Straße und in Slums.
Es macht uns jetzt schon große Sorgen, wie die Menschen, die einen kleinen Straßenladen haben und z.B. am Abend Tee verkaufen und kleine Snacks, diese 21 Tagen Ausgangssperre überleben.
Unsere Schneiderinnen haben seit dem 23.3. bezahlten Urlaub. Doch seit gestern haben wir vier Mitarbeiterinnen einberufen, die Mund- und Nasenmasken nähen, da dies zurzeit ein hygienischer Artikel ist, der gebraucht wird.
Wir haben 30 Pakete gepackt mit 5kg Reis, Gewürzen, Zucker, Gemüse, Tee und Seife und diese zu den Familie gebracht, die kein Einkommen haben. Die Polizei hat die jungen Leute angehalten, aber nach dem sie erklären konnten, warum sie auf der Straße sind, hat die Polizei sie weiterfahren lassen.
80 % der Bevölkerung in unserem Ort, dazu zählen auch die Ehemänner unserer Näherinnen, sind Schreiner von Beruf und können zurzeit nicht zur Arbeit gehen. Keine Arbeit, kein Lohn, keine Nahrung. So gut es geht, unterstützen wir die Familien. Vor allem sind es die Witwen, die Hilfe brauchen. Da wir davon ausgehen müssen, dass nur wenige Personen eine Rente vom Staat bekommen, ist Hilfe notwendig. Aber es macht auch Freude, dies zu tun.
In den Medien wird sicher von dem großen Treffen der Muslime berichtet, die die Anzahl der infizierten Menschen auch in Tamil Nadu erhöht haben. Verschwiegen wird in unseren Medien, dass der Staat eine Versammlung von Tausenden Hindus erlaubt hat. Wie viele Menschen sich dort infiziert haben, entzieht sich unserer Kenntnis.
Der Staat hat das Ausgangsverbot bis zum 14. April verlängert. Mit allen Christen in der Welt teilen wir auch das Leid, dass die Kirchen geschlossen sind, keine Gottesdienste stattfinden. Für die Christen in Indien, die das Drama lieben, sind die Kreuzwegstationen an Freitagen gebetet ein Höhepunkt in der Fastenzeit. Auch darauf muss verzichtet werden.
Eigentlich sollte mein Flieger mich am 1. April nach Deutschland bringen, aber alle Flüge wurden gestrichen. Wie alle Deutschen hätte ich mich auf die Rückholliste einschreiben können. Ich habe mich entschieden hier zu bleiben, denn wieder nach Indien zurück zu kommen, wäre dann so schnell kaum möglich gewesen. Es bleibt offen, wann der nächste Flieger mich in die alte Heimat bringt.
In der Hoffnung, dass „alles wieder gut wird“ und uns diese Situation etwas lehrt, beten wir füreinander. Besonders wünsche ich ein frohes und gesegnetes Osterfest in diesem Jahr in einer anderen Weise, aber dennoch herzlich miteinander verbunden.
Ich grüße Sie/Dich herzlich mit gefalteten Händen und sage „Vanakam“ oder „Namaste“
Gisela