Neues aus Viralimalai
Es sind nicht immer neue Dinge, die geschehen, aber es erstaunt mich immer wieder, dass ich nach all den Jahren in Indien, dieses Land und seine Menschen mit Überraschungen, positiven und negativen, erleben darf.
In diesem Jahr, hatten wir nicht im Mai die große Hitze, sondern der Monat April hat uns Temperaturen von 42 Grad C gebracht. Aber Gott hat es gut mit uns gemeint. So kamen pro Woche für 20 bis 30 Minuten am Abend kleine Regenschauer auf uns herab, die wir mit Dankbarkeit annahmen; denn die Temperatur ist gesunken, wir konnten besser schlafen. Leider sind dann auch die Moskitos zum Leben erwacht und zwar in Miniaturgröße, aber die Bisse schmerz(t)en genauso.
Der Mai Monat ist in Tamil Nadu immer der Ferienmonat. Von morgens bis abends sind die Kinder bei uns und wollen unterhalten werden. Auch der kleine Atshai, 2,5 Jahre alt, ruft dann: „Komm, setz dich zu mir und spiele mit mir“. Er ist im Augenblick unser kleiner Sonnenschein, da Johann und die anderen schon die Schule besuchen und nur an freien Tagen kommen. Als ich von meiner letzten Deutschlandreise zurückkam, rannten alle Kinder zum Tor um mich zu begrüßen, nur Atshai nicht. Er ging ins Nähzimmer und informierte alle Frauen, die dort arbeiten, dass ich da bin und gemeinsam mit ihnen kam auch er. Mit großer Empörung hat Atshai sich bei mir beschwert mit den Worten: „Lakshmi lässt uns nie in Frieden spielen.“ Sie hat die Jungen mit lauter Stimme aufgefordert, die Fahrräder stehen zu lassen, da es gefährlich sei.
Gestern kam seine Schwester Swathi mit geschwollener Hand zur Nachhilfe. Sie ist in der 9. Klasse. Erst auf Nachfrage, hat sie uns erzählt, dass die Lehrerin alle Kinder geschlagen hat, da niemand die richtige Antwort geben konnte.
Der Zuwachs an Studenten für die Nachhilfe wird immer größer. Es hat sich herum gesprochen, dass unser Lehrer Navaneedan ein Genie in Mathematik ist; denn Mathe und Englisch sind die schwierigsten Fächer für unsere Kinder. Englisch wird nur auswendig gelernt, ohne zu wissen, welche Bedeutung die Wörter haben, es reicht, um das Abitur zu bestehen. Es ist für unsere Praktikantin Klara eine richtige Herausforderung, mit den Kindern zu arbeiten.
Wie jedes Jahr ist der Monat Mai ein Monat der Tempelfeste. Die Menschen pilgern zu ihren Göttern oder laufen über heiße Steine, oder lassen sich eine kleine Eisenstange von einer Wangenseite zur anderen durchziehen. Aber alles endet am Ende mit einem guten Essen.
Die Anzahl der Festtage in den Familien ist auch sehr groß. Es muss immer ein „Nalla Naal“ sein, also ein guter Tag, der von den Astrologen vorher gesagt wird. An diesen guten Tagen finden Hochzeiten, Hauseinweihungen, Ohrringfeste statt. So hatten wir vor 2 Wochen eine Einladung, an einem „guten Tag“ zu einem Ohrringfest. Den beiden Söhnen wurden mit heißen Nadeln Ohrringe gestochen. Die Gäste, mindestens 500, bringen Geldgeschenke, Schmuck und Kleidung für die Jungen mit. Die Erwartung ist immer sehr hoch, dass genau so viel, oder sogar mehr, eingenommen wird, wie man selbst für die Geschenke vorher ausgegeben hat. Leider geht diese Rechnung nicht immer auf und die Familie bleibt auf den Schulden sitzen, auch unsere Gastgeber…
In diesem Dorf, so habe ich erfahren, hat fast jeder Mann zwei Ehefrauen. Es sind nicht die Muslime die hier leben, sondern die Hindus.
In den deutschen Medien, scheint es wieder gut an zu kommen, wenn die Überschrift heißt: “Indien gefährlichstes Land für Frauen.“ Ich lebe seit 17 Jahren hier und fühle mich sicher, so tun es auch die jungen Frauen oder unsere Praktikantinnen. Leider ist diese Sicht auf Indien sehr einseitig. Es ist sicher wahr, dass die Vergewaltigungen, als eine Straftat, erst jetzt geahndet werden und somit ist ein öffentliches Bewusstsein entstanden ist. Vor Jahren war es auch rechtlich immer die Schuld der Frauen, die die Männerwelt sexuell reizen.
Vergangene Woche wurde Libi verheiratet. Da sie keine Eltern mehr hat und ihre ältere Schwester im Kloster ist, haben die Verwandten die Entscheidung gefällt. Als wir miteinander gesprochen haben, meinte Libi, dass sie noch nicht heiraten will, sondern erst das Studium abschließen möchte. Auf meinen Kommentar hin, warum sie dann zu dieser Hochzeit ja gesagt hat, meinte sie:“What shall I do?“ Was soll ich denn machen?
Gott sei Dank, wurde sie nicht mit einem nahen Verwandten verheiratet, was hier noch sehr üblich ist. So wurde im letzten Jahr eine 17jährige mit dem Bruder der Mutter verheiratet. Es spart die Kosten der Mitgift und die Eltern haben das Gefühl, die Tochter kommt in eine vertraute und sichere Umgebung, was man bei „Fremden“ ja nie weiß. Wir verurteilen dieses inzestuöse Verhalten und versuchen durch Aufklärung Einfluss zu nehmen.
Es ist die Freiheit und die Selbstentscheidung der Frau, die wir fördern sollen. Dies kann nur durch Bildung und Erziehung geschehen.
Die Politik macht den Menschen, auch uns, zu schaffen; seit ich in Indien lebe, hat sich der Preis für Diesel/Benzin von 34 Rupees auf 71/76 Rupees erhöht. Das bedeutet, der Sprit ist auf cirka 1€ pro Liter angestiegen. Mit dieser Erhöhung sind auch die Tickets für Bus und Bahn viel teurer geworden. Die Milch ist von 16 Rupees auf 52 Rupees angestiegen. Im Gleichschritt haben dies auch die Schul-und Collegegebühren getan. Wir könnten heute das Haus, in dem wir wohnen, das Land, auf dem es steht nicht mehr bauen oder kaufen.
Mit diesem kleinen Einblick in unser tägliches Leben, möchte ich Sie gerne geistig an diesem Leben teilnehmen lassen. Es wäre schön, wenn Sie unsere Sorgen durch Ihr Denken und Gebet unterstützen. Gerne tun wir dies auch im Gebet für Sie. Sie können uns auch helfen, wenn Sie die Gelegenheit haben, unsere Handarbeiten in Ihrem Heimatort an zu bieten.
Bleiben Sie uns gewogen.
Gisela Häring